Bei minus 27 Grad Celsius liege ich in einer Kurve auf einem Eissee in Schweden und warte mit meiner Kamera auf den perfekten Moment. Meine Hände zittern. Mein Bauch ist taub. Dann driftet der neue Audi Q8 um die Kurve und zieht eine weiße Schneewolke hinter sich her. Als er röhrend an mir vorbeifliegt, drücke ich den Auslöser der Kamera. Kurz vor einem Fahrzeugdummy aus Kunststoff bremst der Wagen stark ab und bleibt stehen. Testlauf erfolgreich.
Wie ein lebendiger Organismus beißt sich die Kälte durch meine vier Kleidungsschichten samt Thermounterwäsche und krallt sich in meiner Haut fest.
Kälteschock: Eissee mit Kalterprobung
Zwei Stunden früher. Ich stehe in einer Werkstatt auf dem geheimen Testgelände des Volkswagen Konzerns. Auf einem riesigen Eissee testet der Konzern hier seine Fahrzeuge unter Extrembedingungen. Die nächsten zwei Tage begleite ich mehrere PSW-Ingenieure bei einer Kalterprobung. Eine der Kernkompetenzen von PSW ist die Fahrzeugintegration von Audi pre sense. Die Ingenieure implementieren das System in das neue Fahrzeug und passen dabei Parameter wie Länge, Breite, Performance und Dynamik des Autos an. Anschließend prüfen sie das System anhand eines Testkatalogs, der auch eine Erprobung unter kalten Extrembedingungen vorsieht.
Die nächsten zwei Tage testen wir Audi pre sense front im Audi Q8. Dabei handelt es sich um ein Assistenzsystem, das Gefahrensituationen erkennt und gegebenenfalls Maßnahmen wie eine Notbremsung einleitet. Heute testen wir das System auf dem Eissee, morgen bei einer Straßenfahrt.
Vorrausschauend: Audi pre sense front
Audi pre sense front funktioniert folgendermaßen: Unter der Windschutzscheibe beim Rückspiegel ist eine Kamera verbaut, die 150 Meter vorausschaut. Die Kamera sendet Daten an das zentrale Fahrerassistenzsystem und das Airbagsteuergerät, die gemeinsam innerhalb von wenigen Millisekunden die aktuelle Gefahrensituation analysieren. Sollte ein Objekt eine Gefährdung darstellen, wird es vom System als crashrelevant eingestuft. Sobald es zu einer gefährlichen Situation kommt und der Fahrer nicht rechtzeitig eingreift, leitet das System situationsbedingte Maßnahmen ein, zum Beispiel eine Notbremsung. Zusätzlich strafft sich der Gurt, Scheiben und Schiebedach werden hochgefahren und der Sitz wird in eine ideale Position verstellt. So wird das Verletzungsrisiko im Falle eines unvermeidbaren Unfalls möglichst gering gehalten.
„Je nachdem wie kritisch die Situation ist, reagiert das System. Bei der niedrigsten Warnstufe wird der Fahrer durch ein optisches Signal im Cockpit gewarnt. Wenn es richtig kritisch wird, dann kommt es zur Notbremsung und zur Straffung der Sicherheitsgurte“, sagt Christian. Doch wieso reisen die Ingenieure hunderte Kilometer in den bitterkalten schwedischen Norden, um zu testen? „Das Gelände bietet die idealen Bedingungen. Zum einen überprüfen wir die Performance der automatischen Bremsung unter Extrembedingungen. Immerhin ist der Boden extrem glatt. Zum anderen testen wir die Leistung der Kamera bei schwierigen Sichtverhältnissen. Nebel und Schnee sind hier an der Tagesordnung. Wenn das System hier funktioniert, dann wird es das auch woanders“, erklärt er.
Impressionen
Versuchsaufbau: Dummy ahead
Ein paar Minuten später fahren wir aus der Werkstatt und auf den Eissee. Wir halten auf einer langen Geraden und steigen aus dem Auto. Sofort schlägt mir die Kälte entgegen und ich rutsche fast aus, weil der Boden so glatt ist. Behutsam laufe ich über das Eis, um Christian und seinen Kollegen beim Versuchsaufbau zu helfen. In ein paar hundert Metern Entfernung platzieren wir einen Kunststoff-Dummy, der das Heck eines Audi A1 darstellt.
Zurück im Auto beginnt der heutige Testlauf. Christian gibt leicht Gas, der Motor brummt und wir fahren zügig los. Dann wird es spannend. Der Dummy kommt immer näher. Als wir nur noch ein paar Meter davon entfernt sind, blinkt ein rotes Signal im Cockpit auf und ein lauter Ton ist zu hören. Sekundenbruchteile später spüre ich einen Bremsruck und kurz darauf machen wir eine Notbremsung. Mein Körper spannt sich an, bereit für den Aufprall, doch wir bleiben kurz vor dem Dummy stehen.
Wenn das System unter diesen Extrembedingungen keine Fehlfunktionen auslöst und die Objekterkennung fehlerfrei arbeitet, ist der Test erfolgreich.
Leistungstest: Straßenfahrt mit Hindernissen
Am nächsten Morgen schneit es heftig und die Sicht ist schlecht, doch Christian freut sich auf die Fahrt: „Die Bedingungen sind perfekt. Bei der heutigen Straßenfahrt möchten wir feststellen, wie gut die Kamera mit Schneeverwehungen und schlechter Sicht zu Recht kommt. Vor uns werden zwei weitere Fahrzeuge voraus fahren, die eine Schneeschleppe aufwirbeln“, sagt er. „Wenn das System unter diesen Extrembedingungen keine Fehlfunktionen auslöst und die Objekterkennung fehlerfrei arbeitet, ist der Test erfolgreich.“
Als wir vom Testgelände fahren, wird mir etwas mulmig. Die Sicht ist wirklich schlecht und die beiden vorausfahrenden Audi sind kaum zu erkennen. Aber das System lässt sich nicht beirren. Christian sitzt während der Fahrt auf der Beifahrerseite und behält auf einem Monitor das Kamerabild und die Funktionssignale im Blick. Zurück auf dem Gelände zieht er ein positives Fazit der vergangenen Tage: „Wir haben einen Großteil der Tests durchgefahren und sind sehr zufrieden. Sogar das Schneechaos während der Straßenfahrt hat zu keinen Fehlfunktionen geführt. Zudem war die Objekterkennung mehr als zuverlässig."