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2019 / Integrierte Mobilitätstechnologien

Entspannter ankommen: auf der grünen Welle

    7 Uhr morgens in der Münchener Innenstadt: Dicht an dicht drängen sich die Autos und nur zäh rollen die Fahrzeuge über den Asphalt. Ich stecke mitten in der morgendlichen Rush Hour fest. Die Ampel schaltet wieder auf Grün. Langsam geht es voran. Ich gebe Gas, weil ich die grüne Welle mitnehmen möchte. Weiter vorne rückt eine Ampel in mein Sichtfeld, die mittlerweile schon länger grün ist – zu lange. Ich beschleunige etwas mehr, um die Grünphase mitzunehmen. Dann schaltet die Ampel plötzlich auf Gelb und schließlich auf Rot. Ich muss scharf abbremsen und halte an.

    Ampelinfo online

    Diese Situation wird sicherlich einigen bekannt vorkommen. Manchmal klappt es mit der grünen Welle, manchmal nicht. Wer vorher wüsste, wann eine Ampel auf Rot oder Grün schaltet, würde viel entspannter und auch effizienter zum Ziel kommen. Diese Technologie entwickelt Audi mit seiner Tochter AEV und der Unterstützung von PSW: Ampelinfo online.

    Time-to-Green
    Die erste verfügbare Funktion heißt „Timeto- Green“. Der Fahrer sieht im Audi virtual cockpit oder Head-up-Display, ob er im Rahmen der erlaubten Geschwindigkeit die nächste grüne Ampel erreicht. Ist das nicht der Fall, zählt ein Countdown die Zeit bis zu nächsten Grünphase – der Fahrer kann frühzeitig den Fuß vom Gas nehmen. Pilotprojekte in Europa haben gezeigt, dass Autofahrer dank der Information über die Ampelschaltung vorausschauender unterwegs sind, was den Verkehrsfluss insgesamt positiv beeinflusst und den Verbrauch reduziert.

    Vorausschauend: Ampelinfo online

    Modulentwicklung

    Die Experten von PSW unterstützen Audi und AEV bei der Entwicklung von Ampelinfo online, indem sie ihre Kompetenzen in der Modulentwicklung und Funktionsabsicherung einbringen. Einer dieser Experten ist Dr. Christian Steen. Seit 2011 ist er in das Projekt involviert und hat die Anfänge in den USA miterlebt: „Bei der CES 2014 in Las Vegas haben Audi und AEV die Technologie das erste Mal gezeigt“, erzählt der Softwareentwickler. „Bevor die Messe gestartet ist, war ich mit dem AEV-Projektleiter vor Ort und gemeinsam haben wir die Fahrzeuge für die Messe vorbereitet. Die Präsentation war ein voller Erfolg und Las Vegas wurde dann auch die erste Stadt, in der Ampelinfo online zum Einsatz kam.“

    Bei aktivierter Routenführung muss das Modul eine Prognose treffen.

    Dr. Christian Stehen

    Wenn die Technologie flächendeckend ausgerollt ist, haben wir einen wichtigen Schritt zum autonomen Fahren gemacht.

    Tobias Zimmermann

    Christian ist bei PSW für die Modulentwicklung verantwortlich. Er schreibt das Programm, das dem Fahrer im Display die notwendigen Informationen anzeigt: Welche Ampel ist für den Fahrer relevant? Wie lange dauert die Grünphase noch? Welche Geschwindigkeit ist notwendig, damit der Fahrer die grüne Ampel überqueren kann? In einem ersten Schritt entwickelte Christian über mehrere Monate hinweg die verschiedenen Algorithmen des Moduls. Eine große Herausforderung dabei war die Tatsache, dass es viele Kreuzungsvarianten gibt und jede davon muss der Algorithmus abbilden können. „Wenn der Fahrer auf eine einfache Kreuzung zufährt und nach links blinkt, ist es klar, dass ihm die Linksabbiegerampel angezeigt wird“, sagt Christian. „Aber es gibt auch kompliziertere Varianten, zum Beispiel eine Doppelkreuzung. Hierbei muss das Modul eine Prognose treffen, welche der Linksabbiegerampeln für den Fahrer relevant sind. Das ist bei der Entwicklung eine komplexe Aufgabe.“

    Um den Fahrer mit diesen Informationen versorgen zu können, implementiert Christian verschiedene Schnittstellen im Modul. Über eine Schnittstelle bekommt das Modul die Daten des Fahrzeugsystems, zum Beispiel die Fahrzeugposition oder die Geschwindigkeit. Zudem verfügt das Modul über eine weitere Schnittstelle zum Internet, um die aktuellen Ampelschaltungen abzufragen. Auf Basis dieser Daten berechnet der Algorithmus schließlich die angezeigten Informationen.

    Prognosequalität sicherstellen

    Tobias Zimmermann gehört ebenfalls zum PSW-Team, das bei der Entwicklung von Ampelinfo online mitwirkt. Der studierte Elektrotechniker ist seit Oktober vergangenen Jahres bei PSW und kümmert sich um die Funktionsabsicherung. „In den USA interagieren viele Tausend Ampeln mit der Technologie“, sagt er. „Im Schnitt hat jede Ampel ungefähr 40 bis 50 Überfahrten am Tag. Da kommen schnell große Datenmengen zusammen, die wir auswerten müssen, um die Prognosequalität sicherzustellen.“

    Das bedeutet in dem Fall, dass Tobias überprüft, ob die Prognosen, die Ampelinfo online trifft, mit der tatsächlichen
    Ampelschaltung übereinstimmen. Für die Analyse arbeitet Tobias mit den GPS-Positionen der Fahrzeuge, den Überquerungszeitpunkten und der getroffenen Prognose der Ampelschaltung. Damit die Datenauswertung möglichst schnell und effizient geschieht, wertet das System, mit dem Tobias arbeitet, die Daten anhand von vorher gesetzten Kriterien aus. Zudem arbeiten er und seine Kollegen daran, die Auswertung noch weiter zu automatisieren.

    „Ich freue mich, einen Beitrag zur Entwicklung von Ampelinfo online zu leisten“, sagt Tobias. „Wenn die Technologie flächendeckend ausgerollt ist, haben wir einen wichtigen Schritt zum autonomen Fahren gemacht.“

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